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Abschnitt 8: Harmoniestimmen und Stimmung
Diatonik und Chromatik
Wir haben Scale- und Chord-Harmoniestimmen als »diatonisch«
und den Shift-Modus als »chromatisch« bezeichnet – aber was
bedeutet das überhaupt?
Betrachten wir eine Klaviatur. Von einem C zum nächsten sind es
insgesamt zwölf Tasten – 7 weiße und 5 schwarze. Jede dieser
Tasten ist einen Halbton von der nächsten entfernt, was insgesamt
12 Halbtöne pro Oktave ergibt. Die chromatische Tonleiter
verwendet – im Gegensatz zur diatonischen – alle diese Töne
beziehungsweise Stufen. Daher gibt es auch nur eine
chromatische Tonleiter, aber je zwölf diatonische Tonleitern für die
Tongeschlechter Dur und Moll (also C-Dur, Cis-Dur, D-Dur usw.)
Die meisten von uns sind mit den – für die abendländische Musik
charakteristischen – diatonischen Tonleitern (»do-re-mi-fa-so-la-ti-
do«) aufgewachsen, so dass sie für uns »richtig« klingen.
Was aber bedeutet dies in harmonischer Hinsicht?
Harmonien, die auf diatonische Tonleitern beruhen, sind an diese
Tonleitern gebunden. Diatonische Tonleitern bestehen aus einer
bestimmten Folge von Ganz- und Halbtonschritten, so dass eine
»Terz« je nach gewählter Tonleiter drei oder vier Halbtöne über der
Leitstimme liegen kann, während es in der chromatischen
Betriebsart immer dasselbe Intervall (nämlich vier Halbtöne = eine
große Terz) wäre.
Zusammenfassend: Das VoicePro verfügt über drei verschiedene
Harmonie-Modi, die auf chromatischen oder diatonischen
Tonleitern basieren.
Shift-Modus: Hier wird die 12 Halbtöne umfassende chromatische
Tonleiter verwendet, um Intervalle mit einer festgelegten Zahl von
Halbtönen zu erzeugen:
Chord: Hier werden Grundton, Terz, Quinte und manchmal
Septime einer diatonischen Tonleiter herangezogen, um die jeweils
nächste Note des vorgegebenen Akkordes zu erzeugen.
Scale: Hier wird eine der vielen diatonischen Tonleitern verwendet,
um eine Harmoniestimme mit der nächsten innerhalb dieser
Tonleiter enthaltenen Tonhöhe zu erzeugen:
Jenseits all dieser Theorie entdecken Sie die Möglichkeiten des
VoicePro am besten, indem Sie mit allen hier beschriebenen
Betriebsarten experimentieren. Sie entwickeln dabei nicht nur ein
Ohr für die besten Ergebnisse, sondern werden auch musikalische
Variationen und Kombinationen entdecken, die Ihnen sonst leicht
entgehen könnten.
Reine Stimmung
Was bedeutet »reine Stimmung« (oder »reine Intonation«)? Die
reine Stimmung erhält die mathematisch perfekten Verhältnisse
der Tonhöhen in einer gegebenen Tonart. Das Ergebnis sind
wiederum perfekt klingende Harmonien. Die reine Stimmung
unterscheidet sich von der temperierten Stimmung, die wir heute in
der Regel hören und verwenden. Bei der temperierten Stimmung
wird für jede Tonhöhe nur eine Annäherung verwendet; ein
Kompromiss, der Transpositionen ermöglicht, ohne dass das
verwendete Instrument jedes Mal umgestimmt werden muss, wenn
ein Stück in einer anderen Tonart steht. Vielleicht wissen Sie es
nicht, aber sowohl Ihr teuerer Flügel als auch der neueste
Digitalsynthesizer sind eigentlich verstimmt. Genauer gesagt: sie
sind nach der gleichschwebend temperierten Stimmung gestimmt.
Harmonie resultiert aus dem gleichzeitigen Erklingen mehrerer
verschiedener Frequenzen, die in einem für unsere Ohren
musikalisch und angenehm klingenden Verhältnis zueinander
stehen. Je exakter diese Verhältnisse auch aus mathematischer
Sicht sind, umso angenehmer klingen die resultierenden
Harmonien. Die meisten Instrumente – wie das Klavier haben
prinzipbedingt eine absolute Stimmung. Das heißt: Jeder Note
entspricht eine festgelegte Tonhöhe. Leider geht durch diese Art
der Stimmung die Möglichkeit verloren, beim gleichzeitigen Spielen
mehrerer Noten eine perfekte Stimmung zu erzielen. Die Folge ist,
dass die meisten Harmonien, die Sie in der heutigen Musik hören,
mehr oder weniger stark verstimmt sind.
Professionelle Sänger streben – besonders bei mehrstimmigem
Gesang ohne Instrumentalbegleitung (a cappella-) – danach,
zusammen mit den anderen Sängern einen möglichst
harmonischen Gesamtklang mit anderen Sängern zu erzielen.
Dabei orientieren sie sich intuitiv an der reinen Stimmung. Bei den
vierstimmigen Barbershop-Gesangsquartetten orientiert sich die
Stimmung des Hauptsängers so weit wie möglich an einem
Instrument, das gleichschwebend temperiert gestimmt wurde. Die
anderen Sänger wiederum orientieren sich in »relativer reiner
Stimmung« an der Hauptstimme. Das VoicePro kann dieses
Verhalten in den Tuning-Modi »Just« und »Barbershop«
nachbilden.
Wenn Sie am VoicePro den »Just«- oder »Barbershop«-Modus
ausgewählt haben, basiert die Stimmung auf den folgenden
Relationen:
Kleine Terz = 3 Zyklen für 4 Zyklen am Eingang
Große Terz = 5 Zyklen für 4 Zyklen am Eingang
Quinte = 3 Zyklen für 2 Zyklen am Eingang
Im Chord-Modus führen Barbershop-Stimmung und Reine
Stimmung zu verschiedenen Ergebnissen. Bei der reinen
Stimmung wird der Grundton des Akkordes als Referenz
verwendet, während bei der Barbershop-Stimmung die Tonhöhe
der Hauptstimme als Referenz dient. Aus diesem Grund sollten Sie
die Barbershop-Betriebsart eher bei A cappella-Aufführungen
verwenden und die reine Stimmung beim Zusammenspiel mit
anderen Instrumenten, da diese in der Regel gleichtemperiert
gestimmt sein dürften.
Wir empfehlen Ihnen, mit den verschiedenen Betriebsarten zu
experimentieren und im Zweifelsfall auf Ihre Ohren zu vertrauen.